In einer zunehmend digitalisierten Welt beeinflusst Technologie nicht nur unser tägliches Leben, sondern auch unsere Wahrnehmung von Sterben, Tod und Trauer. Der Begriff „Grief Tech“ (Digital Afterlife Industry DAI) umfasst technologische Entwicklungen, die darauf abzielen, den Umgang mit Verlust zu erleichtern und das Andenken an Verstorbene zu bewahren. Doch welche Möglichkeiten bietet Grief Tech konkret, und welche ethischen sowie datenschutzrechtlichen Fragen wirft sie auf?
Trauer und der Wunsch nach Unsterblichkeit als Geschäftsmodell
Grief Tech umfasst eine Vielzahl von digitalen Dienstleistungen und Tools, die darauf abzielen, Prozesse rund um Trauer und Abschied zu begleiten, Erinnerungen zu bewahren und eine individuelle Gestaltung des Vermächtnisses zu ermöglichen. Diese Anwendungen umfassen virtuelle Gedenkstätten, interaktive Avatare und KI-basierte Chatbots für Trauernde sowie Tools für Sterbende, um ihren digitalen Nachlass zu organisieren, persönliche Botschaften zu hinterlassen oder ihr Vermächtnis aktiv zu gestalten.
- Posthume Nachrichten: Technologien wie Seance AI ermöglichen es, Nachrichten an Angehörige zu senden nach dem eigenen Ableben
- Interaktive Chatbots („Griefbots“): Künstliche Intelligenz ermöglicht es, Chatbots zu erstellen, die auf Basis von Daten Verstorbener deren Kommunikationsstil nachahmen. Hinterbliebene können so virtuelle Gespräche mit dem digitalen Abbild führen.
- Virtuelle Gedenkfeiern und Friedhöfe: Plattformen bieten Live-Übertragungen von Beerdigungen, virtuelle Erinnerungsräume und Metaverse-basierte Friedhöfe.
- Virtuelle Wiederbegegnungen: Durch den Einsatz von Virtual Reality (VR) können Hinterbliebene in einer simulierten Umgebung mit digitalen Abbildern Verstorbener interagieren. Ein bekanntes Beispiel ist eine südkoreanische Dokumentation, in der eine Mutter mithilfe von VR ihre verstorbene Tochter „wiedertrifft“.
- Digitale Nachlassverwaltung: Apps wie MyWishes oder Closure helfen, den physischen und digitalen Nachlass zu organisieren.
- Digitale Avatare: Deepfake-Technologie ermöglicht es realistische digitale Abbilder Verstorbener zu erstellen. Basierend auf Fotos, Videos und Audiodaten entstehen interaktive Avatare, die Trauernden Trost spenden sollen, indem sie eine Art virtuellen „Dialog“ mit den Verstorbenen ermöglichen. Diese Avatare können zB in Gedenkzeremonien eingebunden werden und interaktiv auf Fragen reagieren.
- Virtuelle Begegnungsräume im Metaverse: Start-ups, wie Somnium Space, bieten die Möglichkeit, das eigene Vermächtnis neu zu definieren. In diesem 3D-Metaverse können Nutzer als Avatare existieren und ihre Persönlichkeit, Geschichten und Werte für künftige Generationen bewahren. Statt nur von Erinnerungen zu erzählen, wird es laut den Erfindern so ermöglicht direkt mit Nachkommen zu interagieren und so als „Zeitzeuge“ eine neue Dimension der Unsterblichkeit zu schaffen.
Datenschutz nach dem Tod
Ein zentraler Aspekt hinter der Nutzung von Grief Tech ist der Umgang mit den Daten Verstorbener. Grief Technologien greifen auf die Daten und Spuren zurück, die wir in der digitalen Welt hinterlassen, zusätzlich zu den Daten, die Sterbende oder Angehörige zur Verfügung stellen. In der Schweiz, wie auch sonst in den meisten Ländern, endet der gesetzliche Datenschutz für Verstorbene mit dem Tod. Während Erben theoretisch Zugriff auf digitale Konten erhalten können, gibt es kaum Regelungen, die die Nutzung dieser Daten durch Dritte einschränken. Dies bedeutet, dass sensible Informationen potenziell von Plattformen oder Unternehmen verwendet werden könnten – möglicherweise entgegen dem Willen der Verstorbenen. Hier helfen Verfügungen wie der End-of-Life Planer der Akademie für bewusstes Leben und Sterben um Angehörigen Zugang zu allen digitalen Konten zu geben damit im Sinne des Verstorbenen gehandelt werden kann.
Ein weltweiter Trend? Auch bei uns?
Aktuell boomt Grief Tech vor allem in Asien und den USA. Es ist jedoch nur eine Sache der Zeit bis diese neue Art des Umgangs mit Sterben, Tod und Trauer auch in Europa Einzug hält. Verfügbar sind diese Technologien auch jetzt schon für jeden.
Die Idee, den eigenen Abschied so zu gestalten, dass er im Einklang mit den persönlichen Werten und Wünschen steht, und der Trauer um den geliebten Menschen einen erweiterten Raum zu geben, scheint weltweit vielen reizvoll und ein Ausweg aus der empfundenen Sinnlosigkeit ihres Verlustes oder Ablebens.
- Gestaltung des digitalen Nachlasses: Menschen können ihre Wünsche detailliert festlegen, ihren Nachlass digital planen und sogar posthume Botschaften erstellen, die nach ihrem Tod abgespielt werden.
- Erhalt von Erinnerungen: Avatare und virtuelle Gedenkstätten können Angehörigen helfen, sich intensiv an Verstorbene zu erinnern und so deren Einfluss lebendig zu halten.
- Flexibilität in der Trauer: Virtuelle Trauerprozesse können räumliche und zeitliche Barrieren überwinden, insbesondere in Zeiten von Isolation oder geografischer Entfernung.
Risiken und ethische Fragen
Doch Grief Tech birgt auch erhebliche Risiken, die eine kritische Betrachtung notwendig machen.
- Datenmissbrauch: Die Verarbeitung sensibler persönlicher Daten kann zu unbefugtem Zugriff oder Missbrauch führen.
- Verzerrte Erinnerungen: Digitale Abbilder könnten ungenaue oder idealisierte Darstellungen Verstorbener erzeugen, was die Authentizität der Erinnerung beeinträchtigt.
- Emotionale Abhängigkeit: Die Interaktion mit digitalen Repräsentationen könnte den Trauerprozess verlängern oder erschweren, indem sie die Akzeptanz des Verlusts behindert.
- Kommerzialisierung der Trauer: Angebote könnten primär auf Profit abzielen, ohne die emotionalen Bedürfnisse der Trauernden angemessen zu berücksichtigen.
- Ethische Bedenken: Die Erstellung und Nutzung digitaler Abbilder Verstorbener wirft Fragen zur Zustimmung und zum Respekt gegenüber dem Verstorbenen und seinen Angehörigen auf.
Grief Tech und die Rolle der Sterbe- und Trauerbegleitung
Die zunehmende Digitalisierung im Sterbe- und Trauerbereich stellt ehrenamtliche wie professionelle Begleitpersonen vor neue Herausforderungen – und bietet zugleich spannende Möglichkeiten. Wie können Technologien sinnvoll in die Begleitung integriert werden, ohne Werte wie Würde und Authentizität aus den Augen zu verlieren? Wie lässt sich in einer zunehmend KI-geprägten Welt eine klare und professionelle Haltung entwickeln, die Raum für Einfühlungsvermögen und Individualität lässt? Der Lehrgang „Dipl. Sterbe- und Trauerbegleiter*in“ lädt dazu ein, solche Fragen mutig zu erforschen und Antworten zu finden, die den persönlichen Überzeugungen und dem Anspruch an professionelle Begleitung gerecht werden.
Zusammen mit unserem Partnerinstitut Soulsense, Akademie für integrales Bewusstsein, schaffen wir mit diesem Lehrgang Räume voller Offenheit und Inspiration, in denen Themen behandelt werden, die so vielfältig und tiefgreifend sind wie das Leben selbst – darunter auch der Umgang mit dem digitalen Jenseits. Ziel ist es, angehenden Begleiter*innen zu ermöglichen, ihre eigene Haltung zu schärfen, ihre Rolle bewusst zu definieren und ihre Begleitungskompetenz auf ein neues Level zu heben. Statt Antworten vorzugeben, laden wir dazu ein, Fragen zu stellen, Perspektiven zu wechseln und ein fundiertes, wertfreies Verständnis für die Herausforderungen und Chancen am Lebensende und in der Trauer zu entwickeln. Dieser Lehrgang steht für informierte Selbstbestimmung – für die Begleiter*innen und die Menschen, die sie auf diesem Weg unterstützen werden.
Was denkst du? Kann Grief Tech durch innovative Technologien Trost spenden, die Trauerkultur “demokratisieren” und Selbstbestimmung fördern, oder verlieren wir dabei etwas Wesentliches? Teile deine Meinung gerne in den Kommentaren.